Dies „verdankt“ die Gemeinde
ausgerechnet dem damaligen „VEB
Pharmazeutisches Werk“. Dort ging es nur
am Rande ums Pillendrehen. Stattdessen
spielten auf 58 Hektar das Aufziehen von
Heilkräutern wie Pfefferminze und Fenchel
sowie Getreide, Kartoffeln und Zucker
rüben eine wichtige Rolle. Einziges
bekanntes Präparat war das
Halsschmerzmittel „Azoangin“. Hier nun
war der angehende Arzt Dr. Heinz
Schneider alles andere als freiwillig tätig.
Man hatte ihn strafweise als Landarbeiter
eingesetzt. Der wahrheitsliebende
angehende Mediziner war einer
Intrige seiner Vorgesetzten zum Opfer ge
fallen und musste sich ungerechtfertigter
weise „in der Produktion bewähren“.
Liebe auf dem Acker
Dennoch erinnert sich Dr. Heinz Schneider
an diese Zeit gerne zurück, denn beim
Ackern auf dem Feld verliebte er sich in
eine hübsche Kollegin aus Mahlow.
Mittlerweile sind die frühere
Landarbeiterin Thea Schneider und der
in Fachkreisen international bekannte
Mediziner seit über 54 Jahren verheiratet.
Sie hatten drei Töchter und haben fünf
Enkel. „Als ich 1998 nach vier Jahrzehnten
ärztlicher Tätigkeit, davon 32 Jahren als
Chefarzt, in Rente ging, wollten wir wieder
in die Region.“Seitdem ist die Gemeinde
ein Begriff, wenn es um die
Volkskrankheit Diabetes geht.
„Zuckerdoktor“ Schneider steht für die
weltweit längste Verlaufsstudie über
Diabetes. Dabei wurden Betroffene fast ein
halbes Jahrhundert lang wissenschaftlich
begleitet. 2013 verstarb die letzte
Teilnehmerin der „Neustrelitzer
Prognosestudie“ mit 84 Jahren in
Bremerhaven, nach 50 Jahren Diabetes!
Zu aufmüpfig!
Der Mahlower kam 1934 im Sudetenland
zur Welt. Im Zuge der Kriegswirren
landete die Familie in Dömitz in
Mecklenburg-Vorpommern. Auf
elterlichen Wunsch sollte er zur Polizei,
landete aber schließlich bei der NVA, wo
er sich wunderte, dass entgegen der DDR-
Verfassung seine Briefe geöffnet worden
waren. Schließlich wurde ihm seine
Aufmüpfigkeit zum Verhängnis, was mit
dem vorläufigen Rausschmiss von der
Universität Greifswald und der
Strafarbeit in Blankenfelde den Höhepunkt
fand. Unter anderem, weil die Kollegen
von dem Strafversetzten so begeistert
waren, dass sie sich mit Lobeshymnen an
die SED wandten, konnte Heinz Schneider
schließlich doch Arzt werden. In der
weltweit einzigartigen Langzeit-Studie, die
er zusammen mit der Neustrelitzer Ärztin
Dr. Margot Lischinski 1962 begann,
wurden 147 Diabetiker wissenschaftlich
begleitet und parallel in der
Schwerpunktabteilung des
Kreiskrankenhauses Prenzlau vom Stab um
Chefarzt Dr. Heinz Schneider betreut.
Längeres Leben
„Wir hatten den gesamten Altlandkreis
Neustrelitz nach Diabetikern durchkämmt.
Bei vielen wurde die Krankheit dadurch im
Frühstadium erkannt, was dazu führte, dass
die Betroffenen vielfach eine ähnliche
Lebenserwartung erreichten wie Nicht-
Diabetiker. Es kam zu einer flächen
deckenden vorbildlichen Betreuung.
Leichtes Übergewicht erwies sich als
weniger schädlich als bisher angenommen.
Leider wurde diese intensive Betreuung
nach der Wende aufgegeben, trotz des
Bemühens der damaligen Ministerin Dr.
Regine Hildebrandt. Allerdings gab es
bessere Kanülen, Präparate und
Insulinpumpen, die die Therapie
erleichterten“, so Dr. Schneider.
Zweimal gleiche Medaille
Er wurde für seine wichtige Forschung und
sein Wirken vielfach geehrt. Die begehrte
„Gerhardt-Katsch-Medaille“ als höchsten
Preis der „Deutschen Diabetes
Gesellschaft“ erhielt er ungewöhnlicher
weise gleich zweimal. „1987 bekam ich die
ostdeutsche Variante, 1999 die
gesamtdeutsche Version“, schmunzelt er.
Die Auszeichnung geht auf einen
Begründer der deutschen Diabetologie
zurück. Dr. Schneider hat in Karlsburg bei
Greifswald in dem von Gerhardt Katsch
gegründeten „Institut für Diabetes“ seine
wissenschaftliche Karriere begonnen und
promoviert.
Spannende Biografie
Mittlerweile ist der „Zuckerdoktor“ 81
Jahre alt und sorgt intensiv dafür, dass
Blankenfelde-Mahlow in vieler Munde ist.
Er gründete im Ort vor 13 Jahren eine
Selbsthilfegruppe. Vor allem aber ist er als
Fachmann international gefragt. So wird er
immer wieder um Beiträge für
Fachmagazine in vielen Ländern gebeten.
Besonders wichtig ist ihm, seine Vorgänger
auf dem Gebiet, das für ihn zur
Lebensaufgabe wurde, vor dem Vergessen
zu bewahren. Er engagierte sich in
mehreren Ländern erfolgreich für
entsprechende Denkmäler. Seine Biografie
„Die Normalität des Absurden“ reflektiert
sein ungewöhnliches Leben. Damit ist 25
Jahre nach dem Ende der DDR
nachvollziehbar, wie es sich in dem
damaligen System lebte und mit welchen
Schwierigkeiten selbst so honorige
Personen wie der Mahlower Diabetes-Papst
zu kämpfen hatten.
Infos:
Tel. 0 33 79/37 90 83
Heiße Liebe beim Strafeinsatz! |
Stand August 2014