Schlapphut, dunkle Straßen, abgeblendete Fahrzeuge, geheime Briefkästen, so kennt man die
dunkle Welt der Agenten. In Blankenfelde sitzt einer der ungewöhnlichsten Vertreter dieser
„Berufsgruppe“, nämlich Deutschlands „größter Film-Spion“!
Der hat aus seinem „Versteck“ in einem Archiv heraus 20 Jahre lang den Westen mit „heißer Ware“ aus der
DDR versorgt. Getarnt durch kirchliche Würdenträger kam das brisante Material über Westberlin in die
rheinische Karnevalsmetropole Köln, um dann von dort aus Einzug in Zeitungsspalten zu finden. Die
„Staatsgeheimnisse“, die auf diesen versteckten Wegen von Ost nach West fanden, verrieten viel über das
Leben in der DDR. Es ging um verbotene Filmkritiken. Diese stammten aus dem
Epizentrum der DDR-
Filmindustrie, aus dem Gebäude, wo alles zusammenkam, was von der staatlich geführten DEFA auf
Zelluloid gebannt wurde. „Es bestand in der DDR Abgabepflicht für alle Filmproduktionen, ganz gleich ob
Dokumentationen oder Spielfilme. Von allem musste eine Kopie ans Staatliche
Filmarchiv geliefert werden“,
erläutert Helmut Morsbach.
Die DDR auf Zelluloid
Der damalige Zelluloid-Spion gilt heute als einer der fundiertesten Kenner der
DDR-Filmwelt. Die
Bundesrepublik hatte den unauffälligen Archivar erst für die Filmabteilung im Bundesarchiv für sich entdeckt
und den anonymen Filmkritikerpapst der DDR schließlich an die Spitze der DEFA-Stiftung gehieft. „Deren
Aufgabe ist, die DDR-Filme zu bewahren und zu vermarkten. Vom Erlös soll der junge deutsche Film
gefördert werden.“
10 000 Stunden Film
Unter seiner Ägide wurden wichtige Teile des 10 000 Stunden umfassenden Materials
digitalisiert. Darunter
sind an die 1 000 Spielfilme, denn „die DDR steckte in diesen Bereich sehr viel Geld“, so Morsbach.
„Zudem gibt es an die 6 000 Dokumentationen. Darunter sind Städteporträts, es werden Personen und
Landschaften beleuchtet. Damit kann man sich von der DDR nachträglich ein fast lückenloses Bild machen.
Das wäre auf diese Weise im Westen kaum möglich, denn dort gab es keinen Abgabezwang von
Filmproduktionen fürs Archiv.“ Außerdem hatte er die Wochenschauen der DDR sowie Animations- und
Märchenfilme der DEFA unter seiner Obhut.
Unter Beobachtung
Dank Morsbach kamen schon vor der Wende Westdeutsche mit der DEFA-Filmwelt in
Kontakt. Denn der
„graue Archivar“ lieferte Woche für Woche seine Beurteilung und Beschreibung von Filmen
verbotenerweise in den Westen. Dabei wusste er ganz genau, dass er im Visier der
Staatssicherheit war.
Das hatte ihm „politische Unzuverlässigkeit“ eingebracht, als er an der Humboldt-Universität Geschichte
und Archivwesen studierte. Zur Strafe wurde er 1972 zwangsexmatrikuliert. „Die Briefe in den Westen
steckten wir in Kuverts, die von Kinderhand beschriftet wurden und damit wie an
Oma gerichtet aussehen
sollten. Dann ging es mit dem Trabi in vom Wohnort entfernte Stadtteile von
Berlin, um sie auf
verschiedene Briefkästen zu verteilen“, beschreibt er seine subversive Tätigkeit zugunsten einer in der DDR
ständig propagierten aber ganz anders gemeinten „Völkerverständigung“.
Geheimes Lexikon
Anstatt es bei der Tätigkeit als Undercover-Filmkritiker zu belassen, ging der Spion aus den Tiefen
des
Filmarchivs noch weiter. Er erarbeitete ein Filmlexikon der DDR. Die Manuskripte
gingen über
Würdenträger der katholischen Kirche zu dem in Westberlin ansässigen Bischof Joachim Meisner. Wie
durch ein Wunder gelang es dann, 800 Exemplare des gedruckten Werks wieder in
die DDR zu
schmuggeln.
Werbung für Westfernsehen
Offenbar beseelt von diesem Erfolg ging Morsbach noch weiter. Er besorgte sich
westdeutsche
Programmzeitschriften und erarbeitete Empfehlungen für interessante Filme von ARD und ZDF fürs DDR-
Publikum. Die Tipps, so der Blankenfelder, wurden in DDR-Kirchen ausgehängt. „Das wäre sicher nicht
lange gut gegangen. Zum Glück kam die Wende!“ Damit begann für den mutigen Filmenthusiasten eine
steile Karriere, die ihn von 2003 bis 2012 zum Chef der DEFA-Stiftung machte.
Kino für die Heimat
In der Rente lässt Helmut Morsbach die Leidenschaft für den Film nicht los. Mit dem Ende 2014
gegründeten neuen Kinoverein bietet er monatlich ausgewähltes Filmvergnügen für die Großgemeinde.
„Wir laden dazu in Blankenfelde ins Gemeindehaus der evangelischen Kirche und in
Mahlow ins Haus der
Begegnung ein.“ Ungewöhnlich ist, dass dies auf Kosten des Vereins geschieht: „Wir erheben keine
Eintrittsgelder, sondern finanzieren uns aus Spenden.“ Das Engagement bringt Blankenfelde-Mahlow sogar
zu Promi-Auftritten. „Zuletzt besuchte uns Gojko Mitić, den man ja noch bestens aus den DDR-
Indianerfilmen kennt“, freut sich Helmut Morsbach.
Unterhaltsame Geschichte
Übrigens ist der heimliche Filmpapst der DDR nun dabei, auf einem weiteren Gebiet
Spuren zu hinter
lassen. Bereits 2016 soll im Auftrag der Gemeinde die Ortsgeschichte „als spannendes Lesebuch“
erscheinen. „Besonderheit ist, dass man unter Sachthemen kurz und bündig fündig wird. Wer etwa Kinder
hat, interessiert sich sicher für die Schulgeschichte und findet diese auf einen Blick. Andererseits sind darin
Texte zum Schloss, zu den Kirchen oder zu anderen Stichpunkten“, macht Morsbach neugierig. Als
langjähriger Filmkritiker und -Kenner sollte er ja wissen, wie man Information und
Unterhaltung spannend
verquickt. „Bei diesem Buch haben viele Bürger mitgewirkt“, freut er sich.