Rennsport-Geschichte wird in Blankenfelde-Mahlow geschrieben! Doch wer würde das denken? Schließlich
ist es „nur“ ein knallroter Alfa Romeo vor der Haustür der Wohnanlage am idyllischen Rand von Mahlow,
der erahnen lassen könnte, dass hier Autofahren einen besonderen Stellenwert hat!
Besitzer ist der pensionierte Zahnarzt Dr. Werner Rottenberg, der sich zusammen
mit Ehefrau Brigitte Rottenberg
Mahlow als Ruhesitz auserkoren hat. Dabei ist der Begriff „Ruhe“ nicht sehr wörtlich zu nehmen. Schließlich steht
Dr. Rottenberg einem Verein vor, der europaweit bei Motorrennen aktiv ist, per
Teilnahme und vielfach als
Veranstalter.
Rallyefahrer mit 90 Jahren
Dafür gibt es geballte Erfahrung. Der energiegeladene Zahnarzt prägt seit über 60 Jahre den Motorrennsport! Das
alleine ist schon ein Rekord. Noch sensationeller ist, dass er bis vor kurzem
selbst mit seinem derzeitigen
Rallyewagen, einem entsprechend umgebauten Suzuki Swift, an Rennen teilnahm.
Damit kann Dr. Rottenberg für
sich in Anspruch nehmen, mit 90 Jahren der älteste Rallyepilot weltweit zu sein. „Ich habe mit dem kleinen Wagen
100 Rennen gefahren und dabei 100 000 Kilometer zurückgelegt“, zeigt er Sinn für Zahlen. Verständlich, dass es
ihm nun schwer fällt, sich aus dem aktiven Sport zurückzuziehen!
Unerfüllter DKW-Traum
Dabei hat Dr. Rottenberg seit frühester Jugend Motorsport betrieben. „Mein Traum war eine DKW RT 100,“ erinnert
er sich. Dabei handelt es sich um ein Kleinmotorrad, das 1934 seine Premiere
feierte und mit gerade mal 2,5 PS 60
Stundenkilometer schnell war. Das Nachfolgemodell RT 125 brachte es auf fast
eine halbe Million Exemplare und
gilt als das meistkopierteste Motorrad der Welt. Trotz dieser Anfänge stieg der Berliner mit dem gerade erworbenen
Zahnarztabschluss 1950 nicht mit einer DKW sondern mit einer feschen italienischen Vespa in die Welt
der
individuellen Motorisierung ein. „Das war ein für damalige Verhältnisse fantastisches Gefährt, da es im Gegensatz
zu Motorräder mit einer richtigen Karosserie ummantelt war“, lobt Dr. Rottenberg den Kult-Roller noch heute. „In den
frühen Nachkriegsjahren gab es keine Autoproduktion in Deutschland. Ein geniales
Gefährt wie die Vespa war für
die meisten ebenfalls kaum erschwinglich. Deshalb waren es in Berlin vor allem
besserverdienende Freiberufler wie
Rechtsanwälte, Ärzte und Architekten, die sich die 1 200 Mark für eine Vespa leisten konnten“, erklärt Dr.
Rottenberg.
Scheck aus Stuttgart
Er war als angehender Zahnarzt zwar berufsmäßig durchaus für so einen schicken Roller prädestiniert, doch leider
fehlte dafür das Geld. Zum Glück gab es die großzügige Verwandtschaft: „Ein Zweig meiner Familie war in Stuttgart
und dort erfolgreich mit Anzeigenverkauf. Ich fiel vor Freude aus allen Wolken,
als die mir ankündigten, einen
Postscheck über 1000 Mark als Anerkennung für meine bestandende Zahnarztprüfung zu senden!“
Vespa-Liebe
Die neue Vespa hatte gleich mehrere Vorteile. Dazu gehörte, dass man damit mächtig Eindruck bei den Mädchen
machen konnte! Eine davon war die 16-jährige überaus hübsche Brigitte. Der Eindruck war wohl lebensprägend,
denn das Paar ist heute nach wie vor glücklich zusammen. Viel dazu beigetragen hat sicher, dass Brigitte
Rottenberg sich schnell vom Rennsport-Virus anstecken ließ! Zwei Jahre, nachdem sich der junge Zahnarzt mit
Praxis in Tempelhof auf zwei Rädern in den damals nicht vorhandenen Verkehr stürzte, kam ein charmanter Brief
vom Berliner Vespa-Generalvertreter mit der Idee, sich zu einem Club
Gleichgesinnter zusammenzufinden. 1952
entstand daraus der „Vespa Club Berlin“. Seit 1954 steht Dr. Werner Rottenberg als Vorsitzender an der Spitze. Er
brachte in den beschaulichen Verein die sportliche Note. Den Anfang machte die
Suchfahrt unterm Motto
„Knatterton in Nöten“. Was heute kaum denkbar ist: Die Avus war damals Formel 1 Schauplatz.
Gefährliche Kurve
Drei Jahre später bereits war aus dem beschaulichen Vespa-Club ein Motorsportverein geworden.
Der VW Käfer
kam als Rallye-Fahrzeug zum Einsatz. 1961 kommt es zum ersten Autorennen auf dem
Flughafen Tempelhof, mit
angeregt vom legendären Rennfahrer Hans Stuck senior. „Das war der Auslöser für den Autoslalom Berlin“, blickt
Dr. Rottenberg zurück. Der Zahnarzt, der mittlerweile eine BMW Isetta sein eigen nannte und sich über die
ständigen Motorprobleme des Kleingefährts ärgerte, blieb sportlich seiner Vespa, mit der er mittlerweile diverse
Alpenüberquerungen mit Ehefrau Brigitte auf dem Sozius erfolgreich unternommen hatte,
treu. Bei den „24-Stunden
auf der Avus“ ist der Zahnarzt mit von der Partie. Ab 1967 veranstaltet der VCB Rallyes für professionelle
Lizenzfahrer. „1971 wurde die Avus-Nordkurve umgebaut. Wir waren aber nach wie vor bei Rennen für die
Sicherung der gefährlichen Südkurve zuständig.“ Leider hielt die Freude über die neuen Rennmöglichkeiten nicht
lange an.
Vespa Club ohne Vespa
„Mit der Ölkrise 1974 und den Sonntagsfahrverboten begann für den Rennsport ebenfalls eine schwierige Zeit“, so
Dr. Rottenberg. Er manövriert seinen Verein sicher durch das nunmehr schwierige Fahrwasser. Die
Berliner machen
mit ihren Lizenzfahrern, darunter Vereinschef Rottenberg selbst, bei Rallyes im
In- und Ausland auf sich
aufmerksam. 1979 hat der Club richtig was zu feiern: Helmut Schmidtchen wird mit
seinem Simca deutscher
Slalommeister.
Traum vom Rundkurs
„Nach der Wende kam es zu einer engen Zusammenarbeit mit Vereinen in Brandenburg.
Leider lösten sich die mit
der Zeit auf, da die Betriebe als deren Geldgeber wegfielen und kein Ersatz
gefunden werden konnte“, bedauert Dr.
Rottenberg, dass es in den darauffolgenden Jahren mit dem Motorsport weniger
bergauf ging, als ursprünglich
erhofft. Der Verein mit der langen Geschichte hatte nun eine ganze Menge
erreicht und diverse Meilensteine in der
Motorsportgeschichte gesetzt. Was noch als Krönung fehlte, waren Rundkursrennen unter Formel 1 Bedingungen.
Da stößt Zahnarzt Rottenberg auf eine kleine Zeitungsnotiz, die ihn sofort
elektrisiert!
Bördesprint aus Berlin
In Oschersleben bei Magdeburg soll eine neue Formel 1 gerechte Rennstrecke
entstehen, initiiert von Peter
Rumpfkeil, den er als Sportfreund kennt! Am 20. September 1997 findet in der
neuen Anlage das erste Rennen statt.
Es ist eine Leistungsprüfung für Tourenwagen. Rennleiter ist – Werner Rottenberg, der langjährige Chef des „VCB“.
Damit wird Oschersleben zur Heimat für Berliner Rennsportler. Bereits ein Jahr später ruft der Berliner Verein im
Verbund mit dem „MS Vehrte“ eine neue Rennserie, den „Bördesprint Cup“ ins Leben. Ab 2010 werden diese
Rennen ähnlich der Formel 1 mit Training und Qualifying durchgeführt.
„Formel 1“ für jeden?
Trotz dieses Riesenerfolgs ist Dr. Rottenberg immer noch nicht ganz zufrieden.
Er ist seit langem von einer weiteren
Idee besessen: „Jeder, der ein Auto hat, sollte Gelegenheit haben, einmal Rennluft zu spüren.“ So ganz lässt sich
dies nicht verwirklichen, Sicherheitsvorschriften stehen dem entgegen. Dennoch lässt sich diese Idee in modifizierter
Form umsetzen. Schauplatz sind „Testtage“, zu denen trotz trister Novemberwitterung teilweise bis zu 400 Privat
fahrer kommen. „Familienprogramme“ tragen mit zur Beliebtheit bei.
Reinfall mit Lausitzring
Was in Oschersleben beliebt ist, müsste in Brandenburg doch ebenfalls Fans finden? Die Betreiber des
unausgelasteten Lausitzrings wären über jede Bereicherung froh. Doch offenbar fahren die Berliner lieber nach
Sachsen-Anhalt als vor die eigene Haustür: „Zu den Testtagen, die wir auf der Brandenburger Strecke versuchten,
kamen gerade mal 40 Fahrer. Damit ist man weit von einer Kostendeckung entfernt.
Die ganze Anlage ist meines
Erachtens in vielen Punkten eine Fehlkonstruktion. Die Haupttribüne beispielsweise ist für 25 000 Zuschauer gebaut.
Soviele Plätze können niemals gefüllt werden. Der Effekt ist aber, dass man von oben die Fahrzeuge so weit
entfernt sieht, dass man sie gar nicht unterscheiden kann und ganz unten
verhindert das Sicherheitsgitter die Sicht!“
Spannung ohne Geldaufwand?
Zahnarzt Dr. Werner Rottenberg hat in den über 60 Jahren aktiv und als Vorsitzender den Rennsport geprägt wie
kaum jemand. Selbst mit nunmehr 91 Jahren ist er nicht zu bremsen. Bei aller
Liebe zu Wettbewerben und
Spitzenleistungen ist ihm der Spaß am Sport besonders wichtig. So fährt er selbst am liebsten Rallye, erinnert sich
an Europa-Fahrten über 3 000 Kilometer auf der Vespa, an strapaziöse 24-Stunden- und Nachtrennen. Großes
Anliegen ist ihm, diesen Spaß an Nachwuchs-Sportler weiterzugeben. Deshalb bietet der Berliner Verein, was
sehr
selten ist, sogar die Möglichkeit, in vereinseigenen Fahrzeugen zu üben. Dafür stehen mehrere Karts bereit, in
denen sich Kinder ab sechs Jahre erproben können. Angehende Rallye-Piloten können auf zwei Vereinsfahrzeuge
zurückgreifen. „Früher konnte man sich einen Helm aufsetzen und an Rallyes teilnehmen. Heute ist
alles so
überreguliert, dass der Umbau eines normalen Autos etwa 25 000 Euro verschlingt,
nur um den
Sicherheitsstandards Genüge zu tun. Die sind in einem 50-seitigen Regelwerk niedergeschrieben“, ärgert sich
Rennsport-Legende Dr. Rottenberg und möchte mit den Vereinsfahrzeugen jedem, der Lust hat, ermöglichen, ohne
hohe Investitionen oder betteln bei Papi zu einem ungewöhnlichen und spannenden Sport zu kommen. Dabei tritt er
mit eigenem Beispiel dem Verdacht entgegen, dass damit eine hohe Gefahr
verbunden sein muss: „Ich hatte nie
einen gravierenden Unfall, weder mit dem Zweirad noch mit dem Auto!“