weit mehr als die Hälfte selbst miterlebt und vielfach geprägt.
„Fräulein Zucker“ verschlug es 1953 in die Luchgemeinde. Sie stammt aus dem kleinen Ort Polz, das
unweit der Elbe in
Mecklenburg liegt. „Ich hatte ausgerechnet am 17. Juni, dem Tag des Arbeiteraufstands, meinen
Vorstellungstermin an
einer Falkenseer Schule. Es fuhr kein Zug, so dass ich nicht erscheinen konnte.“ In Brieselang ab es eine
Polytechnische Oberschule, die voll ausgebaut und mehrere Parallelklassen hatte.
„Ich übernahm eine achte Klasse.
Meine ältesten Brieselanger Schüler sind somit heute 75 Jahre“, erinnert sie sich. So kam es, dass Generationen von
jungen Brieselangern durch sie geprägt wurden.
Zu Hause bei der Roten Hilde
Charlotte Krause erinnert sich noch gut an die Kontakte mit der „roten Hilde“, die in Brieselang ein Gartengrundstück
hatte. Hilde Benjamin wurde 1902 in Berlin geboren und war in der Weimarer
Republik eine der ersten Frauen, die
Rechtswissenschaften studierte. Später war sie als „Scharfrichterin der DDR“ aufgrund ihrer Rolle bei stalinistischen
Schauprozessen in den 1950-er Jahren verschrieen. Sie schrieb andererseits durch
ihr Engagement für
Gleichberechtigung der Frauen in der Gesellschaft ostdeutsche Rechtsgeschichte.
So legte sie 1965 ein fortschrittliches
Familiengesetz vor, das wichtige Weichen für die rechtliche Besserstellung von Frauen und nichteheliche Kinder
beinhaltete. Sie gehörte zu den Gründerinnen vom „Demokratischen Frauenbund“, bekam andererseits Probleme, als
sie in Ruf geriet, lesbisch zu sein. Hilde Benjamin starb 1989 kurz vor der
Wende.
Termin verwechselt
Sie hatte während der NS-Zeit ihren Mann und einen Großteil der Familie verloren und viel zu leiden. Charlotte Krause
kam mit ihr „in Berührung“, weil sie mit ihrer neunten Klasse das Leben von Elisabeth Bethge erforschen
sollte, die
Nachbarin und Freundin von Hilde Benjamin war. Das Jahr zuvor hatten die Schüler, damals von Monika Hanselmann
geleitet, das Leben von Dr. Georg Benjamin erforscht, nach dem das Staakener Krankenhaus
benannt ist. Er war
Bruder des bekannten Philosophen Walter Benjamin. Dr. Georg Benjamin war Arzt im
Wedding und kam 1942
unter immer noch ungeklärten Umständen im KZ Mauthausen zu Tode. Seine Ehefrau Hilde Benjamin, damals als
Justizministerin längst in Rente, förderte das Vorhaben. Sie war während der Nazizeit ebenso wie Elisabeth Bethge in
einer Gartenlaube im dünn besiedelten Brieselang am damaligen Kameruner Weg untergetaucht. „Ich hatte mit der
Klasse einen Termin bei ihr erhalten. Als wir ankamen, empfing sie uns sehr
aufgebracht, weil sie das Datum
verwechselt hatte. Nachdem sie eingesehen hatte, dass der Fehler bei ihr lag,
war sie sehr nett und freundlich.
Dennoch habe ich sie immer als etwas unnahbar in Erinnerung, hatte stets ein
wenig Angst vor ihr. Die Schülerinnen
hingegen fanden sofort Zugang zu ihr und hatten einen sehr herzlichen und
unbefangenen Kontakt zu ‚Frau Professor’.“
Ehre für Widerstandskämpferin
Elisbeth Bethge war 1905 als Elisabeth Hoffmann in Berlin geboren worden und
hatte 1935 Ernst Otto Bethge
geheiratet. Die Nazis steckten sie als Widerstandskämpferin wegen „Verbreitung verbotener Schriften“ ins Gefängnis,
wo sie schwer erkrankte. Sie starb 1943 an den Haftfolgen in ihrem Gartenhaus in
der Kameruner Straße und wurde
auf dem Friedhof von Brieselang beerdigt. Brieselang hat über die Jahre die Erinnerung an die Widerstandskämpferin
wachgehalten. Charlotte Krause half dabei mit einem Buch: „Anfang des Jahrer 2005 kam der Hausmeister des
Brieselanger Rathauses zu mir mit der Bitte, zum 100. Geburtstag von Elisabeth
Bethge in einem Büchlein das Leben
dieser Widerstandskämpferin zu würdigen. Dadurch bekam ich Kontakt mit dem Stiefsohn. Schließlich fand eine
Würdigung auf dem Friedhof statt. Die Elisabethstraße erhielt den vollen Namen Elisabeth-Bethge- Straße“, schildert
die engagierte Lehrerin. „Das Buch ließ ich auf eigene Kosten drucken.“ Das interessante Werk stellt das Leben der
Widerstandskämpferin in den wichtigen Kontext der geschichtlichen Ereignisse. Und es schlug
Wellen! „Der Künstler
Gunter Demnig wurde durch die Verlegung von Stolpersteinen für politisch, religiös und ethisch Verfolgte bekannt. Die
Falkenseer Unterstützer dieser Gruppe wurden durch dieses Büchlein aufmerksam. So wurde am 28.März 2015 ein
Stolperstein für Elisabeth Bethge verlegt“, freut sich Charlotte Krause. Außerdem wurde in der Fichtestraße 80 an den
von den Nazis ermordeten Graveur Helmut Riedel erinnert.
Brieselang-Lied
Die frühere Lehrerin ist trotz der zeitweisen Beschäftigung mit so bedrückenden Themen kein Kind von Traurigkeit. So
hat sie als Schöpferin des „Brieselang-Lieds“ ihrer Heimat eine Arie zum Mitsingen vermacht, die bei vielen Treffen und
Geselligkeiten geschätzt ist. Die musikalische Umsetzung erfolgte durch Sabine Schulz und Carlo
Pomplitz. Weniger
bekannt ist, dass Charlotte Krause dafür sorgt, dass in Fachkreisen die Luchgemeinde für Plattdeutsch bekannt ist,
obwohl dies in Brieselang noch nie gesprochen wurde. Sie hat den Dialekt ihrer
Kindheit immer bewahrt und tritt mit
plattdeutschen Gedichten in Erscheinung. Dabei hat sie ein besonderes Faible für „lehrreiche, witzige und hintersinnige
Verse“, entwickelt, ganz nach ihrem großen Vorbild Wilhelm Busch. „Meine Plattgedichte wurden in einem Buch vom
Schriftsteller Günter Janßen, der ebenfalls in Brieselang wohnt, veröffentlicht. Er schrieb seine Kindheit im Dorf Apen
auf. Hier wird oft noch platt gesprochen. So wählte er den Titel: Apen oder So is datt Läben äben!“ Man sieht, wenn
Brieselang 90 Jahre feiert, dann gibt es ein mehr als vielfältiges Spektrum. Denn ganz so wie Charlotte Krause kamen
viele neue Bewohner in die Luchgemeinde, von denen jeder so seine spannende
Geschichte zu erzählen hat.
Infos:
Tel. 03 32 32/4 12 58
Rote Hilde und Brieselang-Lied
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