Stand März 2012
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Programmierte Unikate?
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Gehört der Künstler mit Staffelei, Leinwand und Farbpalette der Vergangenheit an? Dieser
Meinung ist ein Wandlitzer, der die altbewährten Insignien eines Malers gegen den Computer getauscht hat.
Holger Lippmann trifft man auf der „Grünen Wiese“. Er ist umgeben von Feldern, um das Haus herum grasen Pferde. Sein Arbeitsplatz
ist ein neu ans ursprüngliche kleine Bauernhaus angefügtes Atelier: zweistöckig, aus warmem Holz, mit großen Fenstern. Das Gebäude ist hell, modern, zweckmäßig, wohnlich und passt hervorragend in die weite Landschaft des Außenbereichs von Wandlitz.
Ein Meer von Monitoren
An der Wand hängen große Bilder, der Arbeitsplatz des Künstlers versteckt sich schon fast, drückt sich in eine Ecke an der Wand. Statt Staffelei finden sich ein Schreibtisch,
Computer, ein Meer von
Monitoren. Die neueste Errungenschaft des 51-Jährigen, auf die er besonders stolz ist, ist ein Buch. Aber keines so einfach zum Lesen, sondern ein Programmierhandbuch mit einer Riesen-Ansammlung von Codes, die Bibel für Computer-Künstler, natürlich aus den USA. „Damit muss ich nicht alle Programm-Codes selbst schreiben“, strahlt er.
Programmierte Bilder
Denn Lippmanns Bilder entstehen mehr noch als bei „normalen“ Malern im Kopf. Statt sie aufs Papier zu malen, wandelt sie der Künstler um in kryptische Anweisungen, die ganz spezielle Programme schließlich in Zeichnungen umsetzen. Form, „Pinselstrich“, Verlauf, Anfang und Ende, alles wird in mathematischen Formel festgelegt. Es
geht zu wie zu Urzeiten des Computers, als gäbe es nicht längst Apple-Rechner, die uns von all dem so elegant befreit haben. Doch davon
will Holger Lippmann nichts wissen.
Geheimnisvoller Kreis
Er kreiert für seine Bilder geometrische Formen, die er dann ab einem bestimmten Punkt sich
selbst, sprich dem Zufall überlässt. Besonders fasziniert ist er „vom Kreis als schönste und unverständlichste Form, die Harmonie und Formvollendung in Perfektion ist. Wir nähern uns ihm mit der Kreiszahl Pi, also 3,14, die dagegen vollkommen chaotisch ist und das
Unverständnis der Menschen kennzeichnet, diese totale Perfektion zu erfassen“, grübelt Holger Lippmann.
So philosophisch entrückt das klingt, er kann auch anders.
Tischlerlehre
Sein Vater hatte eine der wenigen privaten Tischlereien der Gegend, „das sicherte Wohlstand“. Der Sohn musste also ebenfalls Tischler lernen. Das half ihm nun, große Teile seines ganz in Holz gehaltenen Ateliers selbst zu bauen. Er stammt aus dem kleinen Dörfchen Frankenau bei der ebenfalls nicht gerade riesigen Stadt Mittweida in
Sachsen. Mit 13 Jahren stieß er auf eine Platte der westdeutschen Gruppe „Kraftwerk“, die als eine der ersten Musik auf elektronischer
Basis erzeugten. „Ich war in diese Klänge vernarrt und hätte sie gerne nachgemacht. Dafür gab es aber in der DDR keine Technik.“ Also entdeckte der kunstbesessene Jugendliche die Malerei für sich. „Mein erstes großes Bild malte ich mit Mopedfarben, es war bereits abstrakt.“
Das sollte so bleiben, bis 2005, als er nach Wandlitz kam!
Aus Versehen zur Plastik
Seine Zeichenlehrerin glaubte fest an sein Talent und förderte ihn nach Kräften. Mit 16 Jahren hatte er bereits sein
eigenes Atelier im Elternhaus. Er malte sogar bei der Armee, wollte unbedingt die Kunst zum Beruf machen. Doch ohne Abitur? „Ich bewarb mich an der Abendschule für Malerei. Wegen des Armeediensts waren sie bereit, eine Ausnahme zu machen und mich anzunehmen.“ Dabei waren die Prüfer durchaus zukunftsorientiert. Sie fragten: „Was wollen Sie später denn mal machen?“ Weil Tischler Lippmann nichts besseres einfiel, sagte er spontan: „Holzgestalter. Also schickten sie mich in die Abteilung Plastik!“ Offenbar ist er dafür ebenfalls begabt, immerhin nahm ihn anschließend die weltbekannte Dresdner Kunsthochschule auf. So landete er in der Meisterklasse von Professor Klaus Schwabe an der Hochschule für Bildende Künste, wo er 1989, im Jahr der Wende, mit Diplom und großem Hunger auf die bisher unbekannte Welt des Westens, abschloss.
Enttäuscht vom Westen
Man kann nachfühlen, wie er sich freute, anschließend ein Stipendium für die renommierte „Staatliche Akademie der Bildenden Künste“ in Stuttgart zu erhalten. „Umso enttäuschter war ich, dass ich dort gar nichts Neues entdecken konnte. Da waren
selbst wir in Dresden, das gerne als ‚Tal der Ahnungslosen‘ verspottet wird, schon erheblich weiter.“
Dafür gab ihm ein weites Stipendium, das ihn in die Seine-Metropole Paris führte, viele interessante Anregungen. Doch nicht dort, in der „Stadt der Liebe“, fand er seine große Liebe, sondern zuhause in Dresden, dem „Elb-Florenz“, wohin er 1991 wieder zurück gekehrt war.
Heiße Disko-Liebe
Ausgerechnet eine Disko sollte diese Liebe begründen – und später wieder beenden. „Dort traf ich eine Amerikanerin, die mit einem Studententicket per Bahn durchs
Land reiste und in Dresden Deutschland kennen lernen wollte, ausgerechnet in
der Stadt, wo die Menschen einen Dialekt sprechen, der sogar den meisten
Deutschen nicht besonders zugänglich ist“, so Lippmann. Er war mittlerweile als Künstler gefragt, konnte sich freuen, dass seine Werke ausgestellt und verkauft
wurden. Er war auf dem Weg, arriviert zu werden.
Dennoch zögerte er nicht, mit der großen Liebe über den „großen Teich“ zu ziehen. „Sie studierte Philosophie an der Columbia University in New York.“ Das Paar hatte eine nette Wohnung im Stadtteil Brooklyn. Dennoch war der
Unterschied zu Dresden immens: „Das war für mich ein totaler Kulturschock“, erinnert sich Lippmann.
Schon wieder Disko!
Wieder war es eine Disko, die sein Leben ändern sollte: „Es war eine Techno Disko, die Musik wurde mit Fractal Animation unterlegt. Das
sind sich immer verändernde Struktur-Bilder, die mit Computern erzeugt werden. Ich wusste, das will
ich machen, ich muss lernen, wie das geht!“
Holger Lippmann warf Pinsel, Palette und seine Malutensilien in die Ecke,
telefonierte und belagerte Bekannte, bis er es schließlich schaffte, am „New York Institute of Technology“ eine Praktikantenstelle zu erheischen. Das war exakt der richtige Zeitpunkt,
denn das „New York Tech“ war gerade dabei, zu dem zu werden, als was es in die Geschichte einging: Als
Wiege der 3-D-Animation und Geburtsstätte der Computer-Grafik-Industrie, aus dem unter anderem Pixar hervorging, die
maßgeblich dazu beitrugen, dass der Computer aus den Filmen von heute nicht mehr
wegzudenken ist.
Obdachlos zurück in Deutschland
Fasziniert von den neuen Möglichkeiten, aber mit leeren Taschen, kehrte Lippmann nach zwei Jahren New York
wieder ins sächsische Dresden zurück. „Ich war sozusagen obdachlos, kam bei Freunden unter, machte mal dies, mal jenes
und lernte, dass ein Leben ohne Geld
unheimlich spannend und zugleich entspannend sein kann. Das ist echte Freiheit, es kann ja gar nichts mehr schief gehen, man kann nichts verlieren, weil man nichts hat!“
Dennoch braver Bundesbürger, bewarb er sich um eine Weiterbildung zum Multi-
Media-Fachmann, die ihm das Arbeitsamt genehmigte und finanzierte. Lippmann wurde im sich rasant entwickelnden Computer-Zeitalter schnell zum gefragten Fachmann für Grafik und 3-D-Animationen. „Ich hatte so viele Aufträge, dass ich Kunst nur nebenbei machen konnte“, erinnert er sich zurück.
Kunst statt Sicherheit
Doch Christine Jaschek, die neue Freundin, die mittlerweile seine Ehefrau ist,
fand das eine Vergeudung von Talenten. „Sie bewog mich zugunsten der Kunst die
finanzielle Sicherheit auf zu geben.“
Damit wurde der Tischler, der seit 2005 in Wandlitz wohnt, erneut zu einem
Pionier, in der Computerkunst. Er stellt in speziellen Galerien aus, ist
mittlerweile weltweit gefragt. „Als die Fotografie aufkam, wurde sie lange Zeit von der Kunst nicht anerkannt,
weil sie keine Unikate hervorbringt, weil die Werke problemlos vervielfältigbar sind. Heute ist das kein Thema mehr. Ähnlich ist es mit der Computerkunst. Man kann sie natürlich beliebig oft ausdrucken, doch das steht dem Kunstgedanken längst nicht mehr entgegen“, verblüfft Lippmann, der seine Arbeiten in kleinen limitierten Auflagen veröffentlicht und dabei Preise erzielt, die es ihm erlauben, davon zu leben. „Die klassische Kunst hat sich überlebt!“, ist er sich sicher.
Bilder wie Musik
Wenn er nach seiner Arbeit gefragt wird, vergleicht er sie gerne mit Musik: „Eine Komposition hat einen Anfang und ein Ende. Beim Bild sorgt das viereckige
Format für die Begrenzung. Es soll wie ein Musikstück Stimmungen erzeugen. Die Kraft, die das Bild inne hat, soll auf den
Betrachter überspringen. Ein Bild muss ohne intellektuelle Zugabe überzeugen.“
Seit 2005 ist das Ehepaar in Wandlitz, und das hat erheblichen Einfluss auf den
Künstler: „Ich beziehe jetzt viel stärker als früher die Natur in meine Arbeiten ein: Blüten, Bäume, Landschaften.“
Ehefrau mit Kinder-Porträts
Ehefrau Christine Jaschek ist übrigens ebenfalls Künstlerin. Sie hat stets den besten Blick auf die Aktivitäten ihres Manns, denn ihr Arbeitsplatz ist in der Galerie des Ateliers. So hat
sie vom Oberstübchen aus alles im Auge.
Im Gegensatz zu Holger Lippmann, bei dem die Natur ins Abstrakte verläuft, sind bei ihr die Motive greifbar-figürlich. Sie entstehen ebenfalls im Computer, allerdings mit einer ganz anderen
Technik, die weit mehr ans ursprüngliche Malen und Zeichnen angelehnt ist als bei Multi-Media-Pionier Holger
Lippmann. Ihr Lieblingsmotiv ist die eigene Tochter, die sie zu weiteren
Kinderporträts animiert.
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