Dabei hat Walter Thomas Heyn ohne die heute üblichen visuellen Schockeffekte, Blutorgien und brutalen Umdeutungen so viel
Sprengkraft auf die Bühne gebracht, dass die damaligen SED-Oberen Kopf standen. Seine zweite Oper mit
dem skurril
anmutenden Titel „Der Plunderhund im Lande Wunderbunt“ nahm im Gewand klassischer Musik kurz vor der Wende ein
absolutes Tabu-Thema der DDR aufs Korn. Sie behandelte die schamlose Weise, in
der sich der Staat am Eigentum von
Bürgern vergriff, deren Ausreiseantrag bewilligt worden war. Urheber war ein
allseits geschätzter Shooting-Star der
klassischen Komposition. Er wurde durch sein Ballett für die in Ostberlin mit viel Pomp begangene 750-Jahres-Feier von Berlin
bekannt, das in der Staatsoper zur Aufführung gebracht wurde!
Skandal um Shooting-Star!
Vielleicht war es dieser „gute Ruf“, der die Zensoren und „Sittenwächter“ im Stadttheater der fernen thüringischen
„Provinzstadt“ Eisenach nicht genau hinsehen ließ. Doch dann müssen die Zuhörer fast vom Stuhl gefallen sein in Anbetracht
dessen, was sich da musikalisch verbrämt an bissiger Kritik auf der Bühne tat! „Nach der zweiten Aufführung war Schluss, das
Stück wurde ersatzlos abgesetzt“, hat der heute 62-Jährige noch immer Spaß an dem damaligen Skandal, den er in der
verkrusteten DDR ausgelöst hatte.
Krishan überzeugte
Dabei hatte alles so gut angefangen: Seine erste Oper, „Krishans Ende“ nach einer Novelle von Ralph Oehme kam im Theater
Stralsund zur Aufführung und wurde von Publikum und Kritik gut angenommen. Kein Wunder, schließlich ist Heyn ein
Wunderkind der deutschen Musikszene. Wie kein anderer besticht er in
unterschiedlichsten Stilrichtungen. Von ihm stammen
vier Opern, zwei Ballette, er komponiert für Schulorchester, vertont literarische Vorlagen, schrieb Filmmusiken ebenso wie
Lieder und Chansons. Immer öfter greift er zur Gitarre, um solo, mit Ehefrau Karin Leo oder mit
unterschiedlichen Formationen
anzutreten. Schließlich hat er in klassischer Musik ebenso Erfahrung gesammelt wie in einer
Beat-Band!
Bier statt Klavier!
Walter Thomas Heyn wurde 1953 „aus Zufall“ in Görlitz geboren, wuchs aber in Leipzig auf. Seine Eltern hätten
unterschiedlicher nicht sein können. Mutter Elisabeth Heyn träumte von der Bühne, von einer Karriere als Tänzerin und
Sängerin. „Sie ging in jede Filmpremiere, obwohl wir es uns kaum leisten konnten“, erinnert sich der Sohn noch heute.
Allerdings hatte sie die Liebe etwas fehlgeleitet: „Mein Vater war bodenständiger Dachdecker, der für Kunst gar nichts übrig
hatte. Deshalb wurde es nichts mit meiner erträumten Karriere als Klaviervirtuose. Klavierunterricht hätte 24 Mark gekostet,
Gitarrenunterricht nur 16 Mark. Vater rechnete sich aus, dass die Differenz acht
Bier sind und fand außerdem, dass
unsere kleine Wohnung im vierten Stock ungeeignet für ein Klavier ist“, beschreibt Heyn seine Anfänge.
Vergeblich in die Kirche
Zuvor schon hatte ihn seine Mutter mit unkonventionellem Engagement versucht, im
berühmten Thomaner-Chor
unterzubringen: „Um das zu befördern, ist sie sogar in die Kirche eingetreten. Ich hatte einen sehr edlen
Kindersopran, der
mich dazu befähigt hätte. Leider scheiterte es dann an den theoretischen Grundlagen, die mir fehlten!“ Was die Kirche schnell
wieder um ihr neues Mitglied brachte!
Lukrative „Rache“
Die Rache am Vater folgte auf den Fuß: Mit Gitarre wurde der heranwachsende Walter Thomas Mädchenschwarm in der
Schule und landete in einer Beat-Band. „Das Tanzorchester Blau-Gelb trat im ‚Goldenen Löwen‘ auf, allerdings in Leipzig. Ich
hätte damals nie gedacht, dass ich im Alter wieder in einem ‚Goldenen Löwen‘ spielen würde, nunmehr in Wandlitz, meiner
neuen Wahlheimat“, staunt Musikprofi Walter Thomas Heyn, wie sich der Kreis schließen kann. „Damals verdiente ich bei den
abendlichen Auftritten doppelt soviel wie der Vater im ganzen Monat, das hat ihn
mächtig geärgert!“ Die neumodischen
Instrumente kamen natürlich aus dem Westen, „von der ‚Oma’ durch den Zoll geschmuggelt“.
Gitarren-Koryphäe
Dass Heyn sofort an der Leipziger Hochschule für Musik genommen wurde, sieht er in einem ganz praktischen Umstand
begründet: „Mein großer Vorteil war, dass ich zuhause bei den Eltern wohnte und damit keine der raren
Unterkünfte
beanspruchte. Mit Professor Roland Zimmer wurde der junge Beat-Musiker von der
Gitarrenkoryphäe der DDR unter die
Fittiche genommen. Nach vier Jahren war er fit an der klassischen und an der
E-Gitarre. Er schloss 1978 mit der Spitzennote
„sehr gut“ als „Diplomgitarrist“ ab. Er konnte spielen, hatte zu komponieren und arrangieren gelernt und war,
obwohl gerade
mal 25 Jahre alt, ausgestattet „mit Lehrbefähigung für alle Hochschultypen“.
Erfolg der beflügelt
So beflügelt packte ihn der Ehrgeiz. Es sollte eine Oper entstehen. „Daran arbeitet man ein Jahr und verdient nichts“, grummelt
er nach mittlerweile vier Opern. Doch das Erstlingswerk war erfolgreich genug,
um ihm den Auftrag für ein Ballett zu
verschaffen, das 1987 Teil des großen Programms zum 750-Jahres-Jubiläum von Berlin werden sollte und in der Staatsoper
Unter den Linden aufgeführt wurde. Wer hätte bei so viel Einbindung in die etablierte Kulturszene der DDR gedacht, dass
in
dem jungen Komponisten ein großer Hang zum Subversiven verborgen liegt?
Spontan verliebt
Vor gerade mal drei Jahren fiel Heyn auf der Fahrt von Berlin zur Datscha nach
Finowfurt ein Hinweis auf eine leere
Doppelhaushälfte an der lauten Prenzlauer Chaussee bei Basdorf auf. „Damals war es Winter, da gab es weniger
Verkehr“, scherzt der Komponist mit dem feinen Gehör über sein neues Traumhaus ganz dicht an der B109 als 24-Stunden-
Verkehrsader. Offenbar ist der „verträgliche Skorpion“ sehr offen für Spontanes. So kam er zur mittlerweile dritten Ehefrau, als
ihn ihr „offenes Lächeln“ bei einer Zufallsbegegnung in einem Geschäft in den Bann schlug.
Digedags und Brecht
Heute ist der aufmüpfige Komponist dafür bekannt, jung und alt eine Freude zu machen. Zu den größten Erfolgen, die im
Gegensatz zu den nur teuer produzierbaren Opern tatsächlich auf die Bühne kommen, gehören seine Kindermusicals.
Ausgerechnet die Ost-Digedags verzaubern und beflügeln heute die Kleinen in beiden Teilen Deutschlands. Zum
ungewöhnlich breiten Repertoire gehören Literaturvertonungen, bevorzugt von Werken von Erich Kästner, Bertolt Brecht oder
Theodor Fontane. Damit überzeugte er die Hörer bei der „Langen Nacht“ im Deutschlandfunk. Der Mann, der von sich sagt,
„ich hätte mir nie vorstellen können, nochmals mit der Klampfe in der Hand vors Publikum zu treten“, ist nun vielfach als
Gitarrist für Konzerte gefragt.
Wende in Noten
Nun ist er gerade dabei, schon wieder einen Meilenstein zu setzen: Pünktlich zum 25. Jubiläum des Endes der DDR erscheint
seine neue CD, die dieses „glücklichste Ereignis in meinem Leben“, als Fortsetzung seiner Mauerfall-CD aufgreift. „Dass ich
dies nun gerade in Wandlitz erarbeite, wo ja die DDR-Bonzen in der Waldsiedlung
residierten, erfüllt mich mit besonderer
Freude!“, strahlt der ebenso streitbare wie vielseitige Komponist und Musiker.