Stand Juni 2014
Eines der Probleme, die Werder heute
hat, ist fehlender Wohnraum. Das war
nicht immer so. Es gab sogar Zeiten, da
machten alle einen großen Bogen um die
Region.
„Damals hatten die Leute wohl etwas
anderes im Kopf als die schöne Natur“,
schmunzelt Dr. Baldur Martin. Der
langjährige Stadtverordnete und
Kreistagsabgeordnete hat sich nach
Beendigung seiner politischen Laufbahn
im Mai 2014 nun voll auf sein
Steckenpferd, die Heimatgeschichte,
konzentriert. Und da hat er
herausgefunden, dass es mit der heutigen
Beliebtheit von Werder früher mal viel
schlechter bestellt war. „Zur Zeit der
Völkerwanderung sind alle weggezogen,
so dass über 200 Jahre die ganze
Region ziemlich menschenleer war“, so
eine der neuen Erkenntnisse.
Neues aus alten Zeiten
Neu deshalb, weil der gelernte
Gartenbaufachmann und langjährige
Lehrer in diesem Fachbereich beschlossen
hat, Altes ganz neu auferstehen zu lassen.
Während für manchen Geschichte ein
„Buch mit sieben Siegeln“ ist, will Dr.
Martin zusammen mit Gleichgesinnten in
dem neuen Verein mit dem sperrigen
Namen „700 Jahre Heimatgeschichte
Werder Havel e.V.“ die Historie in sieben
Bänden neu auferstehen lassen. Dass darin
viel Neues steht, darauf gibt er Brief und
Siegel. „Bisher war es so, dass bei
Chroniken immer wieder aus den
vorhandenen Darstellungen übernommen
wurde. Das machen wir nun anders.“
Schluss mit Abschreiben
Die erste Chronik stammt von 1784 und
wurde von Ferdinand Schönemann
verfasst. Es gab dann immer wieder neue
Darstellungen, die diese weiterführten,
aber nie grundsätzlich in Frage stellten.
„Wir beginnen nun von Null an und
erarbeiten teilweise mit spezialisierten
Fachleuten alles neu“, beschreibt Dr.
Baldur Martin das ungewöhnliche Projekt.
Die Gruppe hat sich aus dem Heimatverein
ausgegründet, dem Dr. Martin lange Zeit
vorstand. Letzterer wurde dann wie von
ihm gewünscht, vom Militärhistoriker Dr.
Klaus Froh übernommen. Dieser ist nun
zusammen mit dem Bauunternehmer Dr.
Klaus-Peter Meißner, der unter anderem
gerade in der Entwicklung der Havelauen
engagiert ist, mit federführend im neuen
Verein.
Bibliophile Rarität
Jeder der sieben Bände wird 240 Seiten
stark sein und in einer exklusiven Auflage
von nur 650 Exemplaren im un
gewöhnlichen Format 20 mal 23
Zentimeter erscheinen. „Es wird kaum
Nachdrucke geben“, betont Dr. Martin.
Dadurch werden die Bücher, von denen
jedes erschwingliche 17,50 Euro kosten
wird, schon bald zu einer bibliophilen
Rarität mit steigendem Sammlerwert
werden. Bis zur 700-Jahr-Feier von
Werder im Jahre 2017 soll nun ab diesem
Frühjahr jedes halbe Jahr einer der sieben
Bände erscheinen. Die Reihe besteht aus
drei Werken, die dieHistorie in ihrem
Ablauf bis heute betrachten. Weitere vier
Bände werden sich mit Einzelthemen
beschäftigen. Dies sind die drei wichtigen
Gewerbe Fischerei, Weinbau und
Ziegeleien als Band vier, danach „Obst-
und Gartenbau“, „Dienstleistungen und
Industrie“ sowie als letzter
„Gesellschaftliches Leben“ mit einem
Blick auf Sport, Kultur, Vereine, Bildung
und Schulen.
Ausgrabungen exklusiv
Der erste Band geht bis zum Tod des
Soldatenkönigs 1740. Das war das Ende
einer Ära. Der Band ist gerade erschienen
und stellt bereits eine Besonderheit dar.
Denn als Autor hierfür konnte mit
Dr. Thomas Kersting ein Ortsfremder
gewonnen werden, der keinen persönlichen
Bezug zur Baumblütenstadt hat. Er ist
Leiter der Abteilung Archäologie vom in
Wünsdorf beheimateten
„Brandenburgischen Landesamt für
Denkmalpflege und Archäologisches
Landesmuseum.“ Sein Mitarbeiter Jens
Henker hat ihn als Co-Autor unterstützt.
„Damit sind in diesen Band die ganzen
Erkenntnisse aus Ausgrabungen und
Bodenfunden eingeflossen. Dadurch
kommen bisher unbekannte Tatsachen ans
Licht wie die Abwanderung während der
Zeit der Völkerwanderung, die 375 bis 568
stattfand. In unserem Buch sind erstmalig
alle Funde zusammengestellt, die es in der
Region gab und mit Kartenmaterial
verdeutlicht“, beschreibt Dr. Martin, was
diese Erscheinung so spannend macht.
Latein und Althochdeutsch
Der zweite Teil dieses Bandes behandelt
die Zeit von 1314 bis 1740 und generiert
sich aus schriftlichen Quellen. Dafür
konnten die pensionierte Lehrerin
Marianna von Klinski-Wetzel und ihr
Mann Professor Peter R. Wetzel aus
Wildpark-West gewonnen werden. Sie
beherrschen als eine der wenigen zugleich
Latein und mittelalterliche Sprachen, was
Voraussetzung ist, um die alten Schriften
zu verstehen. „Sie hatten schon ein Buch
über Geltow geschrieben, worin sie viele
der bisherigen Erkenntnisse korrigierten,
sehr zum Ärger von manchen Berufs
historikern. Für Werder wurden über 65
Akten aus dieser Zeit gefunden, die
teilweise nicht bekannt waren. Sie wurden
ins Deutsche übertragen, was zu vielen
neuen Erkenntnissen führte“, macht Dr.
Martin weiter neugierig.
500 Akten im Blick
Er selbst ist Autor für den zweiten Band,
der die Zeit von Friedrich II. bis 1945
behandelt und wird natürlich über sein
früheres berufliches Aufgabengebiet, den
„Obst- und Gartenbau“ in Band fünf
schreiben. Der historische Band zwei soll
im Frühjahr 2015 erscheinen. Schon jetzt
hat Dr. Martin „über 500 Akten“ gefunden,
die sich bereits per Überschrift mit Werder
beschäftigen. „Daneben wird es sehr viele
geben, wo die Stadt eine Rolle spielt, das
Hauptthema ein anderes ist“, ist der
langjährige Ortschronist selbst unheimlich
gespannt darauf, was er alles entdeckt, um
die Geschichte seiner Wahlheimat, wo er
seit über 50 Jahren lebt, „neu zu
schreiben“. Man darf sicher sein, dass das
ehrgeizige Projekt selbst Geschichte
machen wird.
Infos:
Tel. 0 33 27/4 27 30
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