Deshalb ist Dietrich Hohmann so eine ungewöhnliche Gestalt. Er ist Literat, Chemiker, war Direktor bei
Vulkanfiber in Werder, liebt Schottland, stand nach der Wende dem
Schriftstellerverband in Brandenburg
vor und war als Mitbegründer der Ost-SPD ganz nah an den Weichenstellungen fürs Ende der DDR und
den Neubeginn unter der
Fahne der BRD.
Ostdeutsche Karriere?
Dies wäre sicher ein wichtiges Thema für eine Biografie. Doch, was ein wenig bedauerlich ist, damit
beschäftigt sich Dietrich Hohmann nicht. Statt dessen schrieb er einen zweibändigen Roman, in dem auf
literarisch-spannende Weise erklärt wird, warum es überhaupt zur Wende kommen musste. „Gloth – Eine
ostdeutsche Karriere“ kam 2012 auf den Markt. „Held des Romans ist ein junger Mann aus der
Arbeiterklasse, der die Thesen der DDR wörtlich nimmt und an den Widersprüchen scheitert. Er hat als
Direktor eines Wirtschaftsbetriebs die Möglichkeit, in den Westen zu reisen und kommt nach Schweden.
Dort stößt er ebenfalls an Grenzen und kehrt als gebrochener Mann in die DDR zurück“, fasst der
Werderaner zusammen. „Die Fortsetzung habe ich in der Schublade. Dort erlebt die Hauptperson die
Wende in der Sowjetunion. Er erkennt, dass die DDR aufgrund ihrer
wirtschaftlichen Abhängigkeit und
ideologischen Fesseln keine Chance hatte.“
Literatur und Chemie
Dietrich Hohmann ist im thüringischen Apolda geboren und liebt Lesen. Mit zwölf Jahren schrieb er
Gedichte, mit 15 Jahren legte er sein erstes Schauspiel am Nationaltheater in
Weimar vor. „Der Dramaturg
hat mich daraufhin ins Herz geschlossen. Ich durfte bei allen Proben dabei sein.“ Doch der Traum von der
Bühne platzte, als in Leipzig seine Bewerbung um Aufnahme ans Theaterinstitut
erfolglos blieb. Stattdessen
ging es ins staatlicherseits verordnete „Praktische Jahr“ zu Agfa in Wolfen. „Naturwissenschaften waren
mein weiteres Hobby. Ich hatte schon als 14-Jähriger ein bescheidenes Chemielabor“, erinnert sich
Hohmann. Um dem Schichtbetrieb zu entkommen, studierte er eben Chemie.
Manager in Werder
Das brachte ihn anschließend zum VEB Vulkanfiber in die Baumblütenstadt Werder, wo er sich vom
Laborleiter zum „Direktor für Absatz und Materialwirtschaft“ entwickeln konnte. „Aus unseren Produkten
wurden ursprünglich Koffer hergestellt. Später waren sie als Isoliermaterial und als Spinnkannen für die
Kunstfaserherstellung wichtig. Dreiviertel der Produktion wurde exportiert.
Hauptabnehmerländer waren die
BRD, Schweden und Großbritannien.“ Dies brachte mit sich, dass Hohmann „Reisekader“ wurde. Seine
England-Erfahrungen fanden unter dem Titel „Londoner Skizzen“ 1977 viel Anklang beim nach Einblicken in
„fremde“ Länder lechzenden DDR-Publikum. Ein weiterer „Nebeneffekt“ war, dass der Chemiker mit
Robert Burns in Berührung kam.
Visum ohne Geld
„Das ist der schottische Nationaldichter, der bei uns völlig unbekannt ist.“ Deshalb wollte sich Dietrich
Hohmann näher mit dessen Leben und Dichtung beschäftigen. Das war ihm ein so großes Anliegen, dass
er 1978 den sicheren Managerposten an den Nagel hängte, um als fast 40-Jähriger nochmals ein Jahr die
Schulbank zu drücken. „Ich habe das damalige Literaturstudium in Leipzig sehr genossen“, erinnert er sich
zurück. Im Verlag „Neues Leben“ erschienen inzwischen der
Erzählband „Blaue Sonnenblumen“ und der Roman „Große Jungen weinen nicht“. Doch die Manager-
Privilegien waren weg. Um endlich dem Traum nahe zu kommen, über Robert Burns zu forschen, musste
Dietrich Hohmann beim Schriftstellerverband um ein Visum nachsuchen. „Das bekam ich nach zwei Jahren,
aber ohne Devisen für den Aufenthalt. Ich stieg in London aus dem Flugzeug ohne einen Penny in der
Tasche.“
Aktiv für den Wandel
Das Buch, das zum deutschsprachigen Standardwerk über Robert Burns werden sollte, stand weiterhin
unter einem schwierigen Stern: „Als ich damit fertig war, hatten wir die Wende. Damit waren fast alle
ostdeutschen Verlage auf einen Schlag weg.“ Schließlich brachte „Neues Leben“ das Werk 1991 heraus.
An der Wende war der Werderaner allerdings in Potsdam mit beteiligt. „Ich war bei den Demonstrationen
dabei und lernte später
Steffen Reiche kennen. Ich wurde im entstehenden Landesverband der SPD
dessen persönlicher Referent.“ Der Pfarrer von Christinendorf gehörte zu den Mitbegründern der SDP, der
SPD der DDR. Er war bis 2000 Landesvorsitzender der SPD in Brandenburg, war
Mitglied der einzigen
freigewählten Volkskammer der DDR und von 1990 bis 2005 Landtagsabgeordneter in
Brandenburg.
Steffen Reiche war von 1994 Bildungs- und Wissenschaftsminister, erst unter
Manfred Stolpe, ab 2002 im
Kabinett von dessen Nachfolger Matthias Platzeck. Bis 2009 war er im Bundestag.
Ohne Auto
Hohmann: „Wir hatten im Landesverband der SPD anfangs kein Auto. So gab es viel Aufregung,
als sich
1991 der damalige SPD-Vorsitzende Björn Engholm zu einem Überraschungsbesuch ankündigte.
Schließlich gelang es, zumindest einen alten Volvo als halbwegs repräsentatives Gefährt zu nehmen. Es
war mein gerade erworbenes Privatfahrzeug.“
Anleitung für Abgeordnete
Doch wie sollte eine Regierung und Verwaltung im Land, in den Kreisen und in
Gemeinden nach Regeln
organisiert werden, die im Osten keiner kannte? Um dies in Gang zu bringen wurde
eine kommunal-
politische Vereinigung gegründet, die Hohmann als Geschäftsführer leitete. „In dieser Zeit haben wir etwa 1
500 Mandatsträgern die Grundlagen in Kommunal-, Bau- und Finanzrecht sowie in Rhetorik
nahegebracht“,
beschreibt Hohmann. So hat der Werderaner weit über die Blütenstadt hinaus in ganz Brandenburg
geholfen, Weichen für den Übergang von einem gewohnten System in eine ganz neue Zeit zu stellen.
Dabei hat er die Literatur und ihre Organisation nie vergessen. So fungierte er
in dieser schwierigen
Übergangszeit von 1991 bis 1996 als Vorsitzender des Brandenburgischen
Schriftstellerverbandes. „Diese
Zeit war mit vielen Enttäuschungen über Kollegen verbunden, die Zuträger der Stasi waren.“
Abschied von der gerechten Welt?
Dietrich Hohmann hätte uns also viel an Erlebten aus der Geschichte mitzuteilen. Doch der mit
Buchhändlerin Renate Hohmann verheiratete Vater von drei erwachsenen Kindern erlebte nun das
Trauma vieler Autoren. War sein Erstlingswerk mit 30 000 in kurzer Zeit
verkauften Exemplaren ein
Beststeller in den DDR-Buchregalen, so tat er sich mit der Veröffentlichung seine zeitgeschichtlichen
Romans „Gloth“ so schwer, dass er ihn schließlich selbst auflegte. Im Rückblick der Wende, die er aktiv mit
herbei geführt hat, resümiert er nicht zuletzt unter diesem Eindruck: „Ich dachte nicht, dass die Menschen
sich so schnell von der Idee einer gerechten Welt verabschieden würden.“ Dabei liegt es Dietrich Hohmann
fern, zu resignieren. Stattdessen ist er weiter aktiv, als Schriftsteller, der
am Tag nur sieben Stunden schläft
und als engagierter Bürger, der sich nunmehr für Deutschkurse bei Migranten engagiert. Denn er erinnert
sich noch gut, wie er in England als bargeldloser Autor mit offenen Armen
empfangen worden ist!
Infos:
Tel. 0 33 27/4 27 55
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